Der Flüchtlingsstrom könnte aufgehalten werden – doch der Westen will nicht
6. September 2015
Verhandlungen mit Assad unumgänglich? Autor: Ben Bünte
Externer Link: http://www.focus.de/politik/ausland/nahost-experte ...
Der Flüchtlingsstrom könnte aufgehalten werden –
doch der Westen will nicht
Europa ächzt unter dem Ansturm der Flüchtlinge. Es gibt Lösungswege, diesen zu stoppen oder gar umzukehren, sagt Politikwissenschaftler Abdel Mottaleb El Husseini im Gespräch mit FOCUS Online. Der Westen weigere sich nur diese anzuwenden.
Mehr als vier Millionen Menschen sind bereits vor den Bomben und dem Terror aus Syrien geflohen, viele von ihnen kamen nach Deutschland. Die Flüchtlingsfrage spaltet die europäische Gemeinschaft. Dabei gibt es eine Möglichkeit, die Flüchtlingsströme zu bremsen, erklärt Abdel Mottaleb El Husseini, Experte für den arabischen Raum, gegenüber FOCUS Online. Die Europäer und andere Mächte seien nur nicht bereit, diesen zu gehen.
Er beklagt, dass sich die EU nur mit den Folgen der Krise im Nahen Osten und nicht mit den Ursachen befassen würde. „Man diskutiert über die Flüchtlingsströme, als wären sie das Ergebnis einer Naturkatastrophe“, sagt El Husseini. In Wirklichkeit bräuchte es diplomatische Lösungen.
Wie kam es zur Flüchtlingskrise?
Bürgerkriege, Terror durch Islamisten, Verfolgung von Minderheiten – es gibt viele Gründe, aus Ländern wie Syrien zu fliehen. Dass es überhaupt erst so weit kommen konnte, daran trägt Europa eine Mitschuld, glaubt El Husseini.
Ein ganz entscheidender Fehler liegt dabei seiner Ansicht nach gar nicht weit zurück: Die militärische Intervention in Libyen im Zuge des Arabischen Frühlings. Durch das Einschreiten insbesondere der USA und Europas wurde Diktator Muammar al-Gaddafi gestürzt – mit verheerenden Folgen.
„Die Diktatur zu beenden war richtig, aber die Art und Weise, also durch militärische Intervention, war falsch. Danach wurde nichts mehr getan. Die Islamisten haben das politische Vakuum ausgenutzt und die Macht übernommen. Der Sturz Gaddafis hat Schlimmeres verursacht als dessen Politik“, sagt El Husseini.
In Libyen habe es keine funktionierenden Strukturen mehr gegeben. Das Land wurde zum Einfallstor für Flüchtlinge aus Afrika und dem Nahen Osten. Immer mehr Waffen gelangten über Libyen in Länder wie Syrien und Ägypten. Die ganze Region wurde destabilisiert.
„Die Entwicklungen in Libyen haben die Opposition in Syrien gestärkt. Doch die Opposition war schwach im Denken und Handeln. Profitiert haben nur die Islamisten“, so der Politikwissenschaftler. Inzwischen seien alle Länder in der Region von der Terror-Miliz Islamischer Staat bedroht.
Während der Westen den libyschen Diktator unbedingt stürzen wollte, habe man die Vorboten des Islamischen Staats einfach ignoriert, sagt El Husseini. Die Scheichs und Geschäftsmänner in den Golfstaaten, die den IS mitfinanzierten und die Bewaffnung der Terrormiliz mit vorantrieben, habe man einfach gewähren lassen.
Wie kann die Krise gelöst werden?
Zu einem Ende der Flüchtlingskrise kann es laut El Husseini nur kommen, wenn der Westen ein selbstauferlegtes Tabu bricht und sich auf Kompromisse mit einem anderen Diktator einlässt: Syriens Machthaber Baschar al-Assad.
Er nennt drei wichtige Punkte, die seiner Ansicht nach zu einer Entspannung führen würden:
- Der Westen muss mit Assad und seinen Unterstützern im Iran und Russland verhandeln und einen Waffenstillstand im Konflikt mit Syrien erreichen.
- Es braucht einen gemeinsamen Schulterschluss des Westens und der regionalen Mächte, um die Terror-Miliz Islamischer Staat zu bekämpfen.
- Für die Krisenregion muss ein Waffenembargo verhängt werden.
El Husseini ist sich sicher: „Ein Waffenstillstand in Syrien muss an erster Stelle stehen.“ Das Land sei tief gespalten zwischen Assad und dem IS. Bei der „Wahl zwischen Pest und Cholera“ könne sich der Westen jedoch nur für den Diktator entscheiden. „Mit dem IS gibt es nichts zu verhandeln und Assad ist nicht wegzukriegen. Die Angst der bedrohten Minderheiten macht ihn stark. Deswegen müssen politische Lösungen her.“
Europa, die USA und Länder wie Russland und der Iran müssten Eigeninteressen dafür hinten anstellen. Ein Kompromiss mit Assad sei der erste Schritt auf dem Weg zu einem Ende der Flüchtlingskrise. „So rosig ist die Perspektive der Flüchtlinge in Deutschland nicht. Andere EU-Länder lehnen sie sogar gänzlich ab. Wenn der Krieg in Syrien beendet wird, werden viele Menschen in ihre Heimat zurückkehren“, sagt El Husseini.
Wenn es den regionalen Mächten gelänge, den IS erfolgreich zu bekämpfen und eine weitere Aufrüstung in der Region zu verhindern, könnte der gesamte arabische Raum entscheidend stabilisiert werden.
Fundstück: focus.de